Aufruhr gefälligst

In diesen Tagen wurden wieder Maßnahmen zur Einengung der Coronakrise beschlossen. Und nahezu reflexartig trifft es zunächst Kunst und Kultur. Dabei steht die Kunst unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Warum sagt das niemand?

Als wäre es selbstverständlich fällt zunächst alles, was Spaß macht, den Coronaeinschränkungen zum Opfer: Gastronomie, Sport, Kunst und Kultur. Zwar werden die Umsatzverluste teilweise kompensiert, aber das ist nicht das einzige Problem.

Die Branche, vor allem die Kulturschaffenden, schimpfen auch pflichtschuldig. Aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, sie agieren aus einer Position der Schwäche. Das wäre meines Erachtens nicht nötig.

Geeignet, erforderlich, verhältnismäßig

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

Laut Kanzlerin Merkel sind die Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Damit zitiert sie letztlich – ignoriert man, dass es eigentlich „angemessen“ heißen müsste – das Verhältnismäßigkeitsgebot. Es schwebt über jeder Eingriffsmaßnahme des Staates. Ohne diese Merkmale wäre die Maßnahme rechtswidrig.

erforderlich – wohl schon

Erforderlich sind Maßnahmen in der aktuellen Situation ohne jeden vernünftigen Zweifel. Die Zahlen steigen ganz offensichtlich exponentiell. Wenn die Maßnahmen im Frühjahr notwendig waren, sind sie es jetzt erst recht. Zu wenig Fundamentales hat sich geändert in den vergangenen Monaten. Weder ein Impfstoff noch eine Heilmittel scheint es zu geben. Reduktion der Infektionszahlen sind das wesentliche Mittel. Und das bedeutet Kontaktbeschränkungen. Dass dies nicht freiwillig funktioniert, belegen leider die Statistiken.

geeignet – vielleicht

Kontaktbeschränkungen grundsätzlich sind sicher geeignet. Aber sind es wirklich die Kontaktbeschränkungen im quasi öffentlichen Raum, bei denen jetzt bereits die einschneidendsten Hygienemaßnahmen umgesetzt wurden. Die Zahlen der Zuschauer sind steuerbar. Due Karten sind leicht personalisierbar. Die Abstandsregeln werden eingehalten und sind leicht überprüfbar. Zuschauerräume sind oft gut klimatisiert etc.

Man kann schon Zweifel bekommen, dass die Beschränkungen im kulturellen Bereich wirklich geeignet sind, am Infektionsverlauf ernsthaft etwas zu ändern.

angemessen – eher nicht

Hier geht es nun um den Vergleich mehrerer geeigneter Maßnahmen. Dazu könnte die Verringerung der Fahrgastzahlen in den öffentlichen Verkehrsmitteln gehören. Man fragt sich gelegentlich schon, warum die Bahn immer noch die Züge bei geringer Auslastung verkürzt und die Reservierungssysteme wie eh und je der Reihe nach die Wagen füllen: Hinten voll, vorne leer. Die Fluggesellschaften stellen ihre Großraumflugzeuge beiseite und besetzten jeden Platz, auch den Mittelplatz.

Gäbe es hier wirklich keine weniger einschneidenden Maßnahmen, die noch dazu wirkungsvoller wären? Es gibt keine Pflicht zum Home-Office, selbst da wo es problemlos möglich ist. Läden haben geöffnet, selbst wenn sie Güter verkaufen, auf die man leicht einen Monat warten kann. Der Kabarettabend muss abgesagt werden. Das Wort „verschoben“ ist reiner Euphämismus.

Plausibel ist das alles nicht.

Kunst und Kultur stehen unter besonderem Schutz

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Art 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland

Der Schutz vor Eingriffen des Staates durch unsere Verfassung ist vielfältig. Da ist die Handlungsfreiheit, die Freiheit der Berufsausübung oder der Schutz des Eigentums. Die Familie steht unter besonderem Schutz und über allem schwebt der Schutz der Menschenwürde.

Während jeder, der durch Corona an seiner Berufsausübung gehindert wird, gleichermaßen Eingriffen in sein Eigentum und seine Freiheit der Berufsausübung ausgesetzt ist, genießen Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre in Art. 5 GG einen ganz besonderen Schutz. Dieser Schutz ergibt sich nicht aus der Frage, ob die Künstler*innen, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen ihren Lebensunterhalt damit verdienen. Das regeln andere Grundrechte.

Es geht um die Freiheit dieser Disziplinen von politischen Einflüssen. Es geht um besondere Formen der Meinungsfreiheit, die nun einmal einen Grundpfeiler unserer Demokratie darstellen. Gerade in Krisenzeiten sind diese Freiheiten ein hohes Gut, verhindern sie doch, dass die Politik die Krise zum Machtmissbrauch nutzt. Das wäre ja nicht zum ersten Mal.

Dass die Wissenschaft in dieser Krise besonders wichtig ist, bezweifelt wohl niemand. Ob ihre Freiheit wirklich gewünscht ist? Aber gerade auch Kunst und Kultur sind wesentliche Säulen, um die Krise rechtsstaatlich, demokratisch und grundrechtskonform zu bewältigen. Kunst und Kultur zu behindern ist mehr, als Künstler*innen und Kulturschaffenden den Lebensunterhalt zu entziehen. Es entzieht der Demokratie ein Lebenselexier.

Selbstbewusst aufbegehren

Die Behinderung von Kunst und Kultur behindert die Demokratie im Kern und das lässt sich nicht durch Geld regeln. Entsprechend scheinen mir die Coronaregeln nicht wirklich verhältnismäßig. Ich kann nur hoffen, dass die Betroffenen aufstehen und mit Selbstbewusstsein dagegen angehen, wenn nötig auf dem Rechtsweg.

Ich fürchte es ist nötig.