Die Vögel im Nationaltheater sehr bunt, vielleicht zu wenig bedrohlich

Es war eher ein Zufall, dass ich mir gestern die Premiere der Castorf-Inszenierung von Walter Braunfels „Die Vögel“ im Livestream angesehen habe. 100 Jahre nach der Uraufführung an demselben Ort ist die Adaption der Komödie des Aristophanes wieder hoch aktuell.

2.400 Jahre Komödie, 100 Jahre Tragödie

Aber was sind 100 Jahre gegen fast zweieinhalbtausend Jahre, die seit der Erstaufführung der antiken Vorlage vergangen sind. Zwei Menschen setzen sich aus recht unterschiedlichen Motiven ab zu den Vögeln. Es gelingt ihnen, die Vögel davon zu überzeugen, eine Stadt im Himmel zu bauen: „Wolkenkuckucksheim“. Über die Kontrolle des Himmels wollen sie die Götter aushungern.

In der antiken Vorlage gelingt der Plan. 2300 Jahre später scheitert er grandios, was allerdings die Initiatoren nur wenig berührt. Sie ziehen sich in ihr altes Leben zurück und hinterlassen ein Desaster.

Es gibt wirklich viele Assoziationen, die diese Geschichte hervorruft. Immer wenn vermeintlich „bessere“ versuchen, den vermeintlich „weniger guten“ etwas Gutes zu tun, wird man genau diese Mechanismen wiederfinden. Und leider lehrt uns die Geschichte, dass es doch meist in der Tragödie endet. Ein positives Ende bleibt oft Utopie, eben Wolkenkuckucksheim.

Wenig Politisches

Die politischen Themen sind es aber letztlich nicht, die Frank Castorf in seiner Inszenierung in den Mittelpunkt stellt. Man könnte geneigt sein, er lenkt eher davon ab. Tolle, schrille, aufwendige Kostüme (Adriana Braga Peretzki), ein wirklich großartiges Bühnenbild (Aleksandar Denić) mit anklängen an Suburbs und eine Parallelwelt. Da blitzt die politische Thematik schon durch. Gesellschaftskritik im Hochglanzformat?

Aber Bildmotive etwa mit Hitchcocks Vögeln oder dem Dritten Reich bieten Anreize zur Assoziation, nur womit eigentlich? Themen wie die Zwangsbeglückung der Schwellen- und Entwicklungsländer wären zeitgemäßer, waren aber nicht wirklich erkennbar. Man fragt sich nicht nur hier, ob wir die Katastrophen der Vergangenheit nutzen, um die Dramen der Gegenwart zu relativieren.

Ein großartiges Opernerlebnis

Besitzt man, wie wir zuhause, eine große Leinwand und eine leistungsstarke Tonanlage, dann wurde der Livestream dennoch zu einem großartigen Erlebnis. Schöne spätromantische Musik, hoch motivierte Sängerinnen und Sänger, denen auch spielerisch Höchstleistung abverlangt wurde. Sie wurden in allen Aspekten den Ansprüchen gerecht. Die Szenerie mit – unfreiwilliger – Kombination aus Livestreams auf der Bühne im Livestream zuhause war spannend anzuschauen. Das Orchester saß höher als gewohnt und hatte so nicht nur Musikalisch sondern auch optisch große Präsenz.

Selbst die der Oper wenig zugetane Familie blieb von der ersten bis zur letzten Minute gebannt sitzen und verfolgte sogar den wohlverdienten Schlussapplaus. Ein Applaus freilich, bei dem die wenigen Zuschauer alles aufbrachten, um den Abend würdig ausklingen zu lassen.