Quo Vadis Digitalisierung der Justiz?

Nehmen wir mal die aktuelle politische Lage aus, so gab es eigentlich bei allen Reden auf allen größeren Bühnen des #DAT 2022 nur ein Thema: Die Digitalisierung von Anwaltschaft und Justiz. Am Ende konnte ich’s nicht mehr hören. 

Die Einigkeit war groß, dass es nun endlich an der Zeit wäre, das Thema anzugehen, dass ein Schwerpunkt die Vereinheitlichung der Systeme sei und entsprechend der Bund mehr in der Pflicht sei. Man müsse über den elektronischen Rechtsverkehr #erv hinaus denken, die E-Akte #eakte müsse kommen, besser heute als – wie geplant – 2026. Videoverhandlungen sollten aus mannigfaltigen Gründen eher Regel als Ausnahme sein. (Kurz zuvor hatte man meist festgestellt, wie schön es sei, sich wieder persönlich treffen zu können.) 

Nicht ganz so einig war man sich dann bei der Frage, wo man eigentlich steht. Ist die deutsche Justiz im internationalen Vergleich wirklich 10 bis 15 Jahre hinten dran, wie eine Studie der Bucerius Law School belege? Oder gilt das eben nur für Teilaspekte? Dreht der neue Justizminister (Dr. Marco Buschmann) nun wirklich auf? Oder war die Rede ebensowenig konkret, wie die seiner Vorgänger:innen? Zwischen den Zeilen lesend konnte man sogar vermuten, dass der Status selbst innerhalb der „Fortschrittskoalition“ (für Herrn Buschmann fast schon ein Mantra) nicht ganz unumstritten ist.

Beinahe anspruchsvoll und konkret war die Forderung von DAV-Präsidentin Edith Kindermann, man müsse über die digitale Abbildung analoger Prozesse hinausgehen. Aber tatsächlich ist auch dieser Wunsch nicht neu und gehört zum Standardrepertoire in Reden zur Digitalisierung. Ansonsten galt auch ihr Plädoyer der Vereinheitlichung von Systemn. Nachvollziehbar aus einer Nutzerperspektive, birgt der Wunsch genau die Gefahr einer Verlangsamung und eines Verlusts an #Innovation und Dynamik.  

Am Ende vieler Reden und Gespräche bleibt das seltsame Gefühl, dass derzeit der elektronische Rechtsverkehr – und der damit verbundene Wegfall der Grenzen des Papiers – die Schriftsätze und Akten erst einmal deutlich aufbläht. Dann wird versucht, mit Methoden wie der künstlichen Intelligenz Mittel und Wege zu finden, in die neuen digitalen Datenwüsten wieder Struktur zu bringen, mithin die relevante Essenz zu extrahieren. Die eine digitale Technik löst – hoffentlich – Probleme, welche die andere geschaffen hat.  

Ideen, die sich dem Thema grundlegender nähern, so etwa der strukturierte Parteivortrag, werden von der Anwaltschaft eher verteufelt. Dabei liegt genau dort der Unterschied zwischen Jurist:innen und Nicht-Jurist:innen: In der Struktur und Relevanz des Vortrags. Oder haben wir wirklich Jura studiert, damit wir den Sachverhalt optimal vernebeln, und nunmehr Maschinen wieder Klarheit schaffen? 

Die Erkenntnis, dass man nicht nur Symptome behandeln sollte, wird wohl bei der Digitalisierung der Justiz noch weitere zehn Jahre auf ihre Umsetzung warten.

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