Wir brauchen Autoren, Verlage, Buchhändler

Die Buchmesse schrumpft. Traditionsverlage bleiben ihr fern. Dabei ist die Messe in stürmischen Zeiten ein wichtiger Hafen.

Früher war ich jedes Jahr auf der CeBIT. Für diejenigen, die sich nicht mehr erinnern: Das war die größte Computermesse der Welt. Bereits mein Vater war in den 70ern hier, damals in Halle 1, der CeBIT-Halle. Erst war es eine einzige Halle, dann das ganze riesige Messegelände in Hannover.

Jedes Frühjahr habe ich mir ein bis zwei Tage Zeit genommen, den Stallgeruch einer ganzen Branche zu inhalieren. Von der Netzwerktechnik bis zum PC, Hardware und Software. Alle waren da. Ich sah Lösungen, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Ich sprach mit Menschen aus Branchen, die mich außerhalb der Hallen nie interessiert hätten. Ein Ort zum Querdenken und zum Entwickeln neuer Ideen. Und nach dem Besuch war der Tank wieder voll.

Dann wurde die CeBIT kleiner, jedes Jahr ein Stückchen. Und damit wurde sie weniger faszinierend, und deshalb wieder kleiner. Bis ich eines Jahres nicht hingegangen bin. Im nächsten Jahr ging dann niemand mehr hin.

Jetzt werde ich bombardiert von Einladungen zu Spezialveranstaltungen. Sogenannte Kongresse, in denen die Vertriebler der Anbieter sprechen, die vor den Konferenzräumen ausstellen. Ich soll für Vorträge bezahlen, für die auch die Vortragenden bezahlen. Regelmäßig kommt hinterher die Frage, warum ich dort oder dort schon wieder nicht dabei war. Wieder eine Veranstaltung, die führend in diesem oder jenem Sektor ist und auf der man dasselbe sieht wie auf der letzten und er vorletzten …

Wenn ich alle diese Events besuchen würde, wäre ich die Hälfte meiner Zeit damit beschäftigt. Und Zeit ist Geld, besonders bei Dienstleistern. Danach hätte ich immer noch nicht ansatzweise den Überblick, den mir dereinst die CeBIT verschafft hat. Keine neuen Ideen, kein Querdenken, nur Schmoren im eigenen Saft.

Heute war ich auf der Buchmesse. Auf der Eröffnungs-PK. Die Branche lobte sich selbst. Es geht wieder aufwärts, zumindest in Teilen. Verleger werden noch ewig gebraucht, so wie Autoren und Buchhändler. Wir haben dieses Jahr sogar zwei Nobelpreisträger*innen. Sie ist da, über ihn wird noch zu sprechen sein, hieß es. Buch fasziniert und polarisiert immer noch.

Olga Tokarczuk, Literaturnobelpreisträgerin 2018, auf der Buchmesse in Frankfurt 2019

Danach führt mich mein Weg gezielt in die Halle 4.2, meine Halle, die Fachinformationshalle. Die Messebauer sind am Werk. Das Gefühl einer riesigen Baustelle. Das soll bis morgen fertig werden? Wo früher die ehrwürdigen juristischen Verlage ihr Buchprogramm präsentierten und zum Sekt einluden, werden an diesem Tag beeindruckende Messestände von ganz neuen Playern aufgebaut. Orientalische und fernöstliche Schriftzeichen auf den Wänden. Die globale Digitalisierung füllt die Lücken, die jene Verlage gelassen haben, als sie ihrem Groß-Event fernbleiben.

Der Trend war erkennbar. Viele Verlage meinten schon in den vergangenen Jahren, man träfe sich ja auch, wenn man keinen Stand hätte. Nur wenn gar keiner mehr einen Stand hat? Fast ist es so. Sind dieses Jahr wirklich mehr juristische Verlage in Leipzig gewesen, als jetzt in Frankfurt? Da sind scheinbar nur noch diejenigen, die in Konzernen Unterschlupf gefunden haben.

Und dann, inmitten des Lärms und der hektischen Betriebsamkeit ein mächtiger Ruhepol, ein schwarz-roter Verlagstempel: C.H.Beck. Die Bücher haben längst in den finsteren Regalen ihren Platz gefunden. Auf den Bildschirmen läuft bereits die Präsentation von Beck-Online. Alte und neue Medien gleichberechtigt in trauter Eintracht. Alle wirken entspannt. Alles sagt, wir waren schon lange vor euch da. Man hofft.

Was musste ich mir früher – noch Mitarbeiter dieses Hauses – anhören über den vermeintlichen Monopolisten der juristischen Fachverlagswelt. Nun, der Eindruck ist kaum noch von der Hand zu weisen – wenn die Marktteilnehmer einfach fernbleiben.

Auch die Buchmesse ist räumlich geschrumpft in den letzten Jahren. Auch hier gibt es Fachbereiche, die auf ihre Fachveranstaltungen ausweichen. Verlage suchen nur noch ihre Kunden, nicht mehr ihre Kollegen. Vertrieb ist alles. Der interdisziplinäre Austausch ist scheinbar unwichtig. Mir völlig unverständlich in Zeiten, in denen eine ganze Branche eine Sinnkrise auslebt. Wann ist der Austausch von Wissen, Erfahrung und Ideen wichtiger als jetzt? Sollte sich die Branche nicht gerade jetzt jährlich treffen. Sehen, was die anderen machen. Reden mit Menschen, denen man sonst nie begegnet. Lösungen finden, wo man sie nie vermutet hätte. Auftanken für das kommende Jahr.

Die Buchmesse war schon vor der CeBIT da und es gibt sie noch immer. Das ist ein Zeichen. In diesem Sinne hoffe ich noch auf viele Buchmessen. Selbstverständlich ist das aber nicht.

Bild oben: Eröffnungspressekonferenz der Buchmesse 2019. Von links nach rechts: Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Olga Tokarczuk, Literaturnobelpreisträgerin 2018, Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse und Francis Gurry, Generaldirektor, World Intellectual Property Organisation – WIPO.