Die Bundeskanzlerin hat die Strafverfolgung von Jan Röhmermann genehmigt. Sie hat den Ball an die Justiz zurückgespielt. Die Begründung lässt Zweifel daran offen, ob der Ermessensspielraum erkannt und richtig ausgeschöpft wurde. Das ist ein fatales Signal und nebenbei auch rechtswidrig.
Über die Genehmigung der Strafverfolgung von Jan Böhmermann gem §§ 103, 104a StGB ist wirklich viel geschrieben worden. Alles kann man gar nicht lesen. (Lesenswert ist etwa der Beitrag von Alexander Thiele, der sich fundiert mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen beschäftigt.) Aber viele haben m.E. den Genehmigungsvorbehalt nicht richtig verstanden.
Worum geht es wirklich?
Worin sehr viele m.E. irren, angefangen mit der Kanzlerin aber eben auch Herr Thiele, ist der Sinn und Zweck des § 104a StGB. In der mir bekannten öffentlichen Debatte wird darauf abgestellt, dass diese Vorschrift eine rechtliche Vorprüfung des § 103 StGB, also der Beleidigung verlangt. Denn nur so ist die Diskussion um die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verstehen, die sich im Zusammenhang mit dieser Entscheidung entwickelt hat.
Darum geht es allerdings gar nicht. Die Frage, ob die fragliche Szene von Herrn Böhmermann den Tatbestand der Beleidigung erfüllt, ist – und da hat Frau Merkel recht – Sache der Justiz. Und das kann und muss man wohl auch im Verfahren um § 185 StGB (einfache Beleidigung) klären. Das hätte also die Bundesregierung mit rechtsstaatlichen nicht verhindern können.
Die §§ 103 und 104 StGB verschärfen aber gegenüber den einfachen Vorschriften §§ 185 ff die Strafe, wenn die betroffene Persone etwa ein ausländisches Staatsoberhaupt ist. Das heißt umgekehrt, bestimmte ausländische Politiker genießen einen privilegierten Schutz vor Beleidigung und Verleumdung. Das ist zu Recht umstritten. Die entsprechenden Vorschriften sind damit jedenfalls fernab der üblichen Strafverfolgung auch hoch politisch. Dieser politischen Komponente wird durch § 104a, der erst im Jahr 2000 eingefügt wurde, auf zwei Wegen Rechnung getragen:
Gegenseitigkeit
Der Staat, in dem der womöglich beleidigte Politiker oder die Politikerin wirkt, muss seinerseits die Beleidigung ausländischer Politiker und Politikerinnen unter besondere Strafe stellen. Dabei muss diese Strafbarkeit rechtsstaatlich begründet sein. Also willkürliche Bestrafung oder undemokratisch zustande gekommene Vorschriften sind nicht gemeint.
Das also ist die objektive Komponennte. Ich habe bisher noch nichts zu der Frage gelesen, ob die Türkei diese Voraussetzung überhaupt erfüllt. Das wird wohl ein Rechtsgutachten klären müssen. Die Sache birgt vielleicht schon einen gewissen Zündstoff.
Genehmigungsvorbehalt
Zudem wird der Bundesregierung durch den Vorbehalt der Genehmigung die Möglichkeit an die Hand gegeben, politisch korrigierend einzugreifen. Dabei geht es aber nicht um eine Vorprüfung, ob die beanstandete Handlung beleidigend oder von der Meinungsfreiheit gedeckt war. Diese Beurteilung schaffen die Gerichte schon selbst. Es geht vielmehr um die – politische – Frage, ob im konkreten Fall die betroffenen Person überhaupt eine privilegierte Behandlung genießen soll.
Eine derartige Priveligierung wäre dann nicht opportun, wenn in dem anderen Land unsere Werteordnung, insbesondere unsere Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit keinen angemessenen Schutz genießen. Hierfür wäre der oder die Betroffene ja qua Definition (Staatsoberhaupt) mit verantwortlich. Um es deutlich zu machen, ein Politiker oder eine Politikerin, der oder die im eigenen Land sich nicht an die Werteordnung hält, soll sich in Deutschland nicht noch auf priviligierte Weise darauf berufen dürfen.
Selbstverständlich gibt der Genehmigungsvorbehalt der Bundesregierung auch die Möglichkeit, eine Strafverfolgung dann zu verhindern, wenn Sie die Vorschrift für überholt hält, eine Abschaffung aber bisher unterblieben ist.
Darum irrt also die Bundeskanzlerin
Mit ihrer Entscheidung hat die Bundeskanzlerin zum Ausdruck gebracht, dass sie entweder nicht entscheiden will oder ihren Entscheidungsspielraum verkannt hat – beides wäre rechtswidrig – oder dass die Voraussetzungen für eine Verweigerung der Genehmigung aus ihrer Sicht nicht vorliegen. Damit erklärt sie, dass sich die Türkei und das Regime Erdogan in den wesentlichen Belangen konform zu unserer Werteordnung verhält. (Dann fragt man sich allerdings, warum die Türkei nicht morgen Mitglied der EU wird.)
Frau Merkel hat ihre Entscheidung öffentlich im Wesentlichen damit begründet, dass in einem Rechtsstaat die Justiz für die Verfolgung von Straftaten zuständig ist. Gleichzeitig hat sie die Vorschriften der §§ 103 ff für nicht mehr zeitgemäß erachtet. Damit verhält Sie sich letztlich rechtswidrig:
Sie hat zumindestens mit dieser Bergründung den Zweck des § 104a StGB ad absurdum geführt. Wäre die Justiz alleine zuständig, gäbe es diese (Sonder-)Vorschrift gar nicht. In diesem Ausnahmefall hat eben der Gesetzgeber bewusst die Politik mit zur Verantwortung gezogen – und das übrigens in diesem Jahrtausend. Die Bundesregierung darf den Ball deshalb gar nicht ohne Prüfung an die Justiz zurückspielen. Und die zumindest publizierte Begründung ist keine echte Begründung. Damit gebraucht sie das ihr eingeräumte Ermessen nicht oder verkennt ihren Ermessensspielraum. Ein Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch ist aber rechtswidrig.
Zudem ist es natürlich völlig bigott, einerseits die betroffenen Vorschriften für nicht zeitgemäß zu erklären und andererseits eine Strafverfolgung nach der Vorschrift zuzulassen, obwohl man sie hätte verhindern könne.